Der Raum der Linie
28.09. – 09.11.2025
Ulrich Seibt
Die Zeichnung ist für Ulrich Seibt das zentrale Ausdrucksmittel seiner künstlerischen Arbeit. Sie ist die älteste Kulturtechnik der Menschheit und fasziniert bis heute viele KünstlerInnen. Während die Zeichnung früher vor allem der figürlichen Darstellung diente, erlangte die Linie im 20. Jahrhundert Eigenständigkeit.
In der Kapelle bezieht sich alles auf das Kreuz – An der Wand sehen wir Tuschzeichnungen auf Bütten - die Häufungen, Kreuzung, Balken & Bretter heißen – sie entstanden ab 2016 und die Linien kreuzen sich, häufen sich, gehen von rechts nach links und von oben nach unten, von klein nach groß und kulminieren in der Mitte. Wir sehen hier Seibts dreidimensionale Holzarbeit, die Zeichnung 04/ aus dem Jahr 2025 heißt. Hier haben wir die rote Signiertinte, die üppig mit einem Rakel aufgetragen wurde, und Schlieren bildet. Dann die schwarze Sprühfarbe die in Eigenregie durchs Bild läuft und eine Linie, aber keine abstrakte Linie bildet.
Diese Arbeit ist eine Zeichnung: eine Weiterführung der Zeichnung in den Raum. Bei den Zeichnungen, die Sie auch auf den Gängen sehen, gerät der Künstler in einen Flow-Zustand - er entwickelt ein präzises Zeitgefühl für die Längen einer Linie. Ziel es, die Zeit als Phänomen sichtbar zu machen – zur Verbildlichung der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, mittels Überlagerung in den Arbeiten.
Der Künstler begann ab 1999 ‚in den Raum‘ zu gehen – er baute einfache Gestänge, meist senkrecht orientierte Arbeiten, ging vor die Wand, spielte mit diesem Hin und Her in einer Übergangszeit und es entstanden sogenannte „Kombinationsarbeiten“ bei denen er viel Try and Error-Erfahrung sammelte. Eine typische Arbeitsweise, der Seibt bis heute treu geblieben ist. Er nimmt Teile aus einem Werk heraus, und integriert es in ein anderes. Er nennt es auch „Eintrag“…. Es ist Teil einer Art „evolutionären Arbeitens“, eine räumliche Arbeit in einen Rahmen zu fassen und mehrschichtig zu machen.
Der Künstler arbeitet abstrakt und gegenstandslos. Neben klassischen, aber auch zweidimensionalen Zeichnungen sehen wir objektgewordene, dreidimensionale Arbeiten. Die Bandbreite an Materialien ist groß: Er arbeitet mit Tusche, Signiertinte, Graphit, Kugelschreibertinte, Lack, Buntstiften, Sprühlack, setzt Tintenstrahldrucker ein, Klebeband aber auch Holz, Ösen, Spanngurte und Buchbinderzwirn, so dass die Werke dreidimensional und raumgreifend werden.
Ein Merkmal und Ursprung seiner Kunst ist das Material: Beginnen wir mit dem hochwertigen 300 g glattgestrichenes Büttenpapier. Dieses Papier verwendet er als Stilmittel – nicht der schnelle Strich interessiert – hier ist es die Sichtbarmachung des Abbruchs des Tuschestifts, die Linienbündel, die Linienfelder.
Kommen wir zur Signiertinte – sie gilt als hochbeständige Tinte für die Kennzeichnung von Oberflächen – Ulrich Seibt verwendet sie seit ca 12 Jahren … sie trocknet plastisch und enthält kein Wasser – so dass sich das Papier, auf das sie aufgebracht wird, nicht wellt und das Papier vollkommen glatt bleibt.
Auch dem Lineal kommt bei der Arbeitsweise von Ulrich Seibt ebenfalls eine hohe Bedeutung zu: Es bestimmt die eigentliche Linie. Denn nicht der Künstler bestimmt die Linie, sondern das Lineal! Es entstehen architektonische Bildräume aus senkrechten, waagrechten und diagonalen Linien, die sich über- und hinterfangen, sich ineinanderschieben, überkreuzen, gitterartig miteinander verbinden und voneinander abgrenzen. Manchmal sind zarte, durchscheinende Liniengefüge, manchmal partienweise dunkeltonig, oder farbkräftige, balkenartige Bildzonen zu erkennen. Es entstehen bei seinen Zeichnungen Interferenzen.
Ulrich Seibt ergänzt seine Zeichnungen mit Digitaldrucken – sie werden verzerrt, eingeschnitten und wieder eingesetzt.
Ulrich Seibt ist 1953 in Stuttgart geboren, hat von 1977 - 82 ein Studium an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart mit dem Fachgebiet Zeichnen, absolviert. Er hat den Preis der Ortszeit 2001 vom Kulturrat Pforzheim gewonnen, 2004 den Preis der Jury, in der Ellwanger Kunstausstellung sowie im Jahr 2022 den 2. Preis der Ortszeit, Pforzheim. Er arbeitete als Kunstlehrer und seit 1980 nimmt er an zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen teil. Seibt lebt und arbeitet in Stuttgart und Rohrdorf im Schwarzwald.
@Christina Körner. Auszug aus der Vernissage Rede am 28.09.2025